Für viele Menschen gilt die Hochzeit als der schönste Tag im Leben, für manche kann es aber auch ein geradezu traumatischer Einschnitt sein, wenn die Ehe unter Zwang zustande kommt. Ein Zeichen gegen diesen Zwang und für ein selbstbestimmtes Leben setzten deshalb zahlreiche Akteurinnen und Akteure aus Stadt und Landkreis Karlsruhe vor Kurzem bei einer Fachtagung zum Thema „Perspektiven zum Schutz vor Zwangsverheiratung.“
Von diesem Schicksal betroffen seien weltweit pro Jahr rund zwölf Millionen junger Frauen, die vor Erreichen der Volljährigkeit gegen ihren Willen verheiratet werden, erläuterte OB Dr. Frank Mentrup in seinem Grußwort. „In Deutschland können wir das Ausmaß nur erahnen“. 73 Fälle seien im vergangenen Jahr polizeilich erfasst worden, sechs davon in Baden-Württemberg, „aber die Dunkelziffer ist hoch.“ Deshalb bedürfe es konsequenter Aufklärung und Vernetzung auf regionaler Ebene, so der OB, denn „die Folgen einer erzwungenen Ehe für die Betroffenen sind gravierend.“ Sie verletzen das Selbstbestimmungsrecht und greifen tief in die Lebensgestaltung ein.“
„Keine Privatangelegenheit“
Auch die Sozialdezernentin des Landkreises Karlsruhe, Margit Freund, schärfte den Mitarbeitenden in Ämtern und Beratungsstellen ein: „Lassen Sie uns hinsehen und aufmerksam sein, Zwangsheirat ist keine Privatangelegenheit.“ Die polizeilich erfassten Fälle stellten nur die Spitze des Eisbergs dar. So habe eine Umfrage der Organisation „terre des femmes“ bundesweit fast 1500 Verdachts- und 379 gesicherte Fälle von Zwangsverheiratung ergeben. Viele dieser Ehen basierten auf einer religiösen Zeremonie und würden gar nicht vor dem Gesetz geschlossen, erläuterte eine Mitarbeiterin der Beratungsstelle aus Stuttgart. „Solche Trauungen können ganz schnell passieren, ohne dass es jemand mitbekommt.“ Wichtig sei es, mit den Betroffenen ins Gespräch zu kommen und einen geschützten Beratungskontakt anzubieten.
Massives Gewaltpotenzial in den Familien
Dabei sei die Gesetzeslage eindeutig, verdeutlichte die Rechtsanwältin Martina Walz-Hildenbrand. Seit 2011 gebe es den Paragraphen 237 im Strafgesetzbuch und auch gegen nicht nach deutschem Recht geschlossene Zwangsehen könne man wegen Nötigung vorgehen. Neben dem „massiven Gewaltpotenzial“ in den Familien stellten außerdem Zwangsverheiratungen in den Herkunftsländern von Migrantinnen ein Problem dar. Häufig passiere dies während eines Ferienaufenthaltes. Dies gelte es zu vermeiden, sagte Walz-Hildenbrand, denn die Handlungsmöglichkeiten deutscher Behörden seien dann äußerst gering.
Handlungsbedarf identifiziert
Bei den abschließenden Workshops beschäftigten sich die Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Fachtagung unter anderem mit den lokalen Angeboten und Bedarfe. Dabei wurde festgestellt, dass es in Stadt und Landkreis Karlsruhe bislang weder eine spezialisierte Anlaufstelle für von Zwangsvereheiratung Betroffene gibt noch einen standardisierten Ablauf mit Handlungsleitfaden. In den Bereichen Beratung, Schutz und Prävention wurden Bedarfe ermittelt, wie zum Beispiel eine Fachberatungsstelle vor Ort, Schutzplätze, einheitliche Verfahrensabläufe, Präventionsprogramme und Öffentlichkeitsarbeit. Ein Runder Tisch mit breiter Vernetzung sollte eingerichtet werden, lautete die Empfehlung.