SZ: Herr Oberbürgermeister, herzlichen Glückwunsch zum 60. Geburtstag. Das ist ein guter Zeitpunkt zurück- und auch vorauszuschauen. Was macht sie beim Blick auf die zurückliegenden Jahrzehnte besonders glücklich?
Frank Mentrup: Die große Familie. Und dass ich mich noch nicht so abgehangen fühle, wie ich früher dachte, dass man mit 60 sein müsste, und dass ich ungebrochen weiter mit großer Lust meiner Tätigkeit nachgehe.
SZ: Als Oberbürgermeister ehren Sie viele Menschen, überbringen Ihnen die Glückwünsche der Stadt und rücken sie in den Mittelpunkt. Jetzt, wo es um Ihren besonderen Geburtstag geht, sind Sie bescheiden und wollen lieber keinen großen Trubel. Das überrascht.
Mentrup: Ich finde es immer schwierig, selbst bei besonders positiven Ausführungen im Mittelpunkt zu stehen. Ich würde mich zwar nicht so als furchtbar zurückhaltend beschreiben wollen, aber ich finde es irgendwie unangenehm.
SZ: Wenn wir in Ihre Vita schauen, dann gab es einen frühen Wendepunkt, nämlich Ihren Eintritt in die SPD, noch vor Ihrem Studium. Was hat Sie da bewogen, so früh politisch aktiv zu werden, in die Politik zu gehen?
Mentrup: In meiner Schulzeit war ich bis auf ein Jahr immer in der Schülermitverantwortung (SMV) aktiv und habe viel Zeit in diese Aufgabe gesteckt. Ich fragte mich, was mache ich denn, wenn das Abitur rum ist und ob ich diese gesellschaftspolitische Aufgabe nicht auf einer anderen Ebene fortsetzen kann.
SZ: Wer war Ihr Vorbild, das Sie motiviert hat?
Mentrup: Meine Eltern waren große Willy Brandt-Verehrer und die SPD hatte insgesamt auch durch die ganzen Informationen, die ich schon früh hatte, für mich auch immer ein gewissen Vorbildcharakter durch ihre ungebrochene Tradition über zwei Weltkriege hinweg, was ihr Wertesystem betraf.
SZ: Was treibt Sie an, sich schon als Schüler und danach ihr ganzes Leben als Politiker für das Gemeinsame zu engagieren?
Mentrup: Mir fällt es grundsätzlich schwer, mich Cliquen anzuschließen. Insofern war ich sehr froh, eine Rolle einnehmen zu können, die mich so ein Stück weit zum Vertreter der gesamten Clique macht.
SZ: Steckt dahinter nicht doch mehr, nämlich ein Einsatz für die Gemeinschaft?
Mentrup: Ja, ich habe ein bisschen so einen Gerechtigkeitsfimmel. Meine SMV-tätigkeit hatte auch viel damit zu tun, dass ich durchaus im Namen der Klasse auch gegen das Verhalten einzelner Lehrkräfte gerne vorgegangen bin. Da konnte ich dann meine große Klappe einsetzen, aber nicht für mich, sondern für andere, was mir immer deutlich leichter fällt.
SZ: Wie hat sich das im Laufe ihrer politischen Karriere entwickelt? Haben Sie Werte und Ziele, die Ihnen besonders wichtig sind?
Mentrup: Ich denke, dass sich die Selbstverwirklichung des Einzelnen ein Stück weit auch an den Rahmenbedingungen der Gesellschaft orientieren muss, damit nicht Teile der Gesellschaft darunter leiden, dass die Einzelnen sich maximal verwirklichen können. Und umgekehrt muss auch die Gesellschaft immer für den Einzelnen ein Stück weit Verantwortung übernehmen, wenn der Einzelne es sonst alleine nicht schaffen würde. Das ist so die Grenze, die im Wesentlichen auch in Deutschland zumindest lange zwischen den verschiedenen Parteien, ein bisschen die Unterscheidungslinie war: Wie viel Gemeinschaftsverantwortung für die oder den Einzelnen und wie viel Verantwortung der oder des Einzelnen für die Gemeinschaft?
SZ: Das ist Ihr politischer Kompass, richtig?
Mentrup: Mir ist vor allem eben immer auch die gemeinschaftliche Verantwortung für den Einzelnen, aber eben auch die persönliche Verantwortung für die Gemeinschaft sehr wichtig.
SZ: Gewählt haben Sie nach dem Abitur dann das Medizinstudium in Heidelberg und Mannheim, waren im Zentralinstitut für Seelische Gesundheit als Assistenzarzt tätig und haben sich dann letztlich dann doch für die Politik entschieden. Warum?
Mentrup: Ich hatte damals in der Klinik keinen Ganztagsjob gehabt und in der Politik hat sich eine Option aufgetan. Das hätte vielleicht auch umgekehrt laufen können. Ich bin beruflich immer zweigleisig gefahren. Ich finde es für Menschen, die in der Politik tätig sind, ganz wichtig, dass man auch einen Beruf hat, den man genauso ausüben könnte. Die Politik hat mir zu dieser Zeit ein Angebot machen können und die Medizin eben nicht. Es hätte auch sein können, dass ich mal wieder wechsle. Es ist am Ende auch ein Ergreifen von Chancen, die man hat. Und da waren die Chancen in der Politik zu dem Zeitpunkt für mich nachhaltiger als die Chancen in meinem ursprünglichen Beruf.
SZ: Wie oft haben Sie als Gemeinderatsmitglied, als Landtagsabgeordneter, als Staatssekretär oder als OB gedacht: Was für ein Glück, dass ich Medizin studiert habe und auch viel von der menschlichen Psyche verstehe?
Mentrup: (lacht) Naja, dass ich in der Kinder- und Jugendpsychiatrie gelandet bin, war auch wieder so ein Zufall. Dort war ich wegen meiner Doktorarbeit schon bekannt. Die Vorteile für die Politik sind einfach, dass ich in der Psychiatrie viele Lebensumstände von Familien über viele Monate kennengelernt habe, weil die eben in der Klinik betreut habe. Der andere Vorteil ist, dass man mit Menschen in Krisensituationen zu tun hat und lernt, sich auch zurückzunehmen und zu versuchen, überhaupt erst mal ein Gespräch, also einen Gesprächsfaden zu finden und ein Grundverständnis füreinander zu finden.
SZ: Ist das Ihre Stärke?
Mentrup: Nicht immer, aber manchmal ja.
SZ: Sie sind gestartet in der Kommunalpolitik in Mannheim, sind dann in die Landespolitik eingestiegen als Landtagsabgeordneter, wurden dann Staatssekretär. Ist die Landespolitik der bessere Ort, um wirklich erfolgreich oder wirkungsvoll Politik machen zu können?
Mentrup: Es ist die Frage, was man von Politik erwartet. Wenn man am Ende doch sehr konkrete Erfolgserlebnisse haben will, ist die Kommunalpolitik auf alle Fälle das interessanteste Politikfeld und in der Vielseitigkeit, mit der man es da zu tun hat, auch. Also ich bin total zufrieden, dass ich vor allem in der Kommunalpolitik tätig war und vor allem auch jetzt mit der Tätigkeit als Oberbürgermeister genau da letztlich auch meinen Schwerpunkt gesetzt habe.
SZ: Wie empfinden Sie oder erleben Sie die große Verantwortung für so eine große Stadt mit 300.000 Einwohnern?
Mentrup: Wenn ich so an die Beträge denke, über die wir diskutieren oder auch über 300.000 Einwohnerinnen und Einwohner oder 6.000 Mitarbeitende in der Kernverwaltung, wird mir nach wie vor immer so ein bisschen schwummerig. Man muss es ein Stück weit auch abstrahiert sehen. Und eine große Erfahrung ist auch, und das ist in Karlsruhe wirklich etwas ganz Besonderes, dass wir so eine herausragend gute Verwaltung haben, auf die ich mich immer verlassen kann. Meine Aufgabe als Oberbürgermeister zu erledigen, wäre sonst auch gar nicht möglich. Ich hätte sonst das Gefühl, dass ich dieser Verantwortung nicht gerecht werden kann, weil sie alleine auf meinen Schultern lastet. Diesen Druck würde ich nicht aushalten können.
SZ: Und wie empfinden Sie als Oberbürgermeister die Abhängigkeit der Stadt Karlsruhe von Land und Bund?
Mentrup: Diese Abhängigkeit definiert die Gestaltungsspielräume in vielen Bereichen. Aber das gehört einfach ein Stück weit zu der Rolle eines OB. Gleichzeitig habe ich zum Teil eine viel größere Freiheit, als – das klingt jetzt paradox - als auf Landes- und Bundesebene, weil ich sehr eigenständig agieren kann und ja nicht mit einer Koalition in einem Parlament so fest verbunden bin, dass die eine Seite immer nur mit mir und ich nur immer mit der anderen Seite Pläne umsetzen kann. Auch da finde ich die Kommunalpolitik wesentlich attraktiver als die Landes- und Bundespolitik.
SZ: Sie haben eingangs gesagt, dass Sie sich jung fühlen, und jetzt steht die nächste Etappe in Ihrer Amtszeit als Oberbürgermeister an. Was nehmen Sie sich vor? Vor welchen Herausforderungen sehen Sie Karlsruhe?
Mentrup. Ich habe nicht gesagt, dass ich mich jung fühle, sondern dass ich mich nicht so abgehangen fühle, wie ich dachte, dass es für 60 wäre. Ich merke schon, dass man älter wird, was Vor- und Nachteile hat, und dass man dadurch schon noch mal zu einer anderen Mitte in sich immer wieder finden muss.
SZ: Jung, habe ich reininterpretiert. Aber welche Herausforderungen sehen Sie?
Mentrup: Die Herausforderungen haben jetzt weniger was mit meinem Alter zu tun, sondern damit, dass ich zum 1. März 2025 das letzte Viertel meiner zumindest mal geplanten Amtszeit als Oberbürgermeister antrete. Gleichzeitig komme ich aber jetzt auch in die Rolle desjenigen, der schon da war, wenn neue Amtsleitungen kommen, wenn neue Dezernenten ihr Amt antreten. Deswegen möchte ich jetzt einige Themen noch gerne umsetzen, für die mir bisher, also in den letzten 12 Jahren vielleicht doch manchmal der Mut oder auch die Stärke gefehlt hätte.
SZ: Was genau möchten Sie angehen?
Mentrup: Es geht um einzelne Themen in der Stadt, sowohl nach innen als auch nach außen. Genauer würde ich es jetzt doch nicht sagen wollen und können.
SZ: Aber genau das ist doch interessant. Sie gehen doch immer wieder auf große Zukunftsthemen ein: Klimaschutz und Mobilitätswende - also die Frage, wohin bewegen wir uns mit ÖPNV und Individualverkehr? Sie mahnen eine gute Gesundheitsversorgung und ihre Finanzierung an und sie auf eine notwendige Änderung der Energieversorgung hin. Und das bei der aktuellen Kassenlage der Stadt. Wie blicken Sie auf diese Themen? Sind das die großen Blackboxes vor denen Karlsruhe steht?
Mentrup: Ich glaube, das sind zum Teil Blackboxes, vor denen die gesamte Politik in Deutschland steht, vor allem auf der kommunalen Ebene, weil es nicht ausreichend mutige und auch nachhaltige Entscheidungen auf den anderen politischen Ebenen gibt. Wenn wir sagen, wir wollen bis bei 2040 klimaneutral werden, dann fehlen uns im Moment die begleitenden Rahmensetzung in der Landes- und Bundespolitik, um das Ziel realistisch erreichen zu können. Das sind wichtige große Themen, aber nicht die Dinge, die davon abhängig sind, ob ich zwölf Jahre im Amt bin oder nicht. Da müssen wir weiter versuchen, eine vernünftige Balance zu halten und trotzdem die Ziele, soweit es möglich ist, eben zu erreichen.
SZ: Ein für Karlsruhe wichtiges Thema ist zudem die Gestaltung der Innenstadt. Wie möchten Sie in fünf Jahren die City sehen, sodass Sie glücklich draufblicken können?
Mentrup: Dann ist die Neugestaltung der Kaiserstraße abgeschlossen. Die Menschen fühlen sich auch mit den etwas kleineren Bäumen wohl, die dann noch fleißig wachsen werden und in absehbarer Zeit doch ein grünes und vor allem nachhaltiges Dach über die ganze Kaiserstraße ziehen. Wir haben die anderen großen Hochbauprojekte hinter uns gebracht. Da steht uns um den Friedrichsplatz herum und auch in der Kaiserstraße noch einiges bevor. Und die Wahrnehmung sollte sein, dass wir ein sehr attraktives Oberzentrum sind, aber nicht nur weil man hier billig einkaufen kann, sondern weil man sich hier insgesamt gut gehen lassen kann.
SZ: Ihr Einsatz für die Gemeinschaft war Ihr Antrieb, in die Politik zu starten. Lassen Sie uns noch auf die Stadtgesellschaft heute blicken. Weltpolitische Themen wie der Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine und der Hamas-Angriff auf Israel und der folgende Krieg polarisieren oder spalten die Stadtbevölkerung. Gerade bei solchen Konflikten appellieren sie immer wieder an den Zusammenhalt in der Bevölkerung, trotz aller Kontroversen. Wie sehen Sie denn im Moment das Miteinander der unterschiedlichen Bevölkerungsgruppen in Karlsruhe?
Mentrup: Ich glaube, wir müssen in der Stadt noch stärker versuchen, die Menschen miteinander in die Diskussion zu bringen. Der Nahe Osten oder auch der Angriffskrieg auf die Ukraine sind vielleicht jetzt nicht die Themen, um die wir uns in der Kommunalpolitik vorrangig kümmern sollten, sondern eher die Themen, die uns hier im Rahmen der integrierten Stadtentwicklung zu Klimaschutz, Mobilitätswende und Energiewende anstehen. Und ich glaube, wenn wir es aber schaffen, über diese eher kommunalpolitischen Themen, die verschiedenen Gruppen wieder miteinander stärker ins Gespräch zu bringen und auch durchaus verbunden mit inhaltlichem Streit, dann wird es bei anderen Themen auch wieder besser klappen.
SZ: Sie plädieren fürs Streiten?
Mentrup: Das ist so ein bisschen immer meine Linie. Die Leute sollen bitte miteinander streiten. Sie sollen miteinander reden. Sie sollen sich nicht übereinander reden und in den sozialen Medien versuchen, einander fertigzumachen. Insgesamt sollen sich die Menschen vor allem als gemeinsamen Stadt-Community emotional empfinden.
SZ: Zum Geburtstag hat man einen Wunsch frei. Was wünschen Sie sich zu Ihrem 60sten?
Mentrup: Mir selbst wünsche ich, dass es doch vielleicht dann mal über mehrere Wochen gelingt, mich völlig auszuklinken. Das sollte ich mir vielleicht im nächsten Jahr mal vornehmen.
SZ: Ihr Lebensweg hat Sie nach Karlsruhe geführt. Was lieben Sie an Karlsruhe, was Mannheim und auch Stuttgart nicht bieten können?
Mentrup: Die Karlsruher sind ein Stück weit von ihrem Temperament etwas abwartender, etwas gelassener, gleichzeitig aber sehr offen für alles Neue. Und diese Gelassenheit, die ja mal von einem externen Büro als gelassener Vorsprung definiert wurde, die finde ich hier sehr, sehr angenehm.
-toj-